LÜTTJE LAGE
Die Wahl
Meine Frau und ich saßen gestern Früh am Küchentisch. Es hatte während des gesamten Wochenende leicht, aber stetig über Twenge geregnet. Das war einerseits nicht schlecht, weil die Blumen in unserem Vorgarten eine Dürreperiode hatten durchmachen müssen und nun wie frisch aufgeblüht daherkamen. Andererseits nimmt das Getröpfele einem die Lust zu irgendwelchen Tätigkeiten außer Kaffeetrinken und Zeitunglesen.
„Ich gehe jetzt wählen", erklärte meine Frau. Der Ton, in dem sie es sagte, ließ keinen Zweifel daran zu, dass ich mitzukommen hatte. Sie war früher politisch sehr aktiv und hatte dabei die linke Außenbahn besetzt. Später driftete sie Richtung Mitte und ließ dort in ihrem Engagement stark nach. Wählen aber geht sie immer, da ist sie konsequent.
Dagegen war ich unmotiviert. „Man müsste diese ganze Bande abstrafen", sagte ich und schenkte mir Kaffee nach, um mein Kreislaufsystem wenigstens ein wenig in Gang zu bekommen. Ich erwähnte die Lustlosigkeit des Wahlkampfes und die fürchterlichen Plakate: „Wenn du mir ansatzweise sagen kannst, wofür die stehen und was sie in Brüssel überhaupt machen außer Spesen, komme ich mit."
Sie erklärte es mir ansatzweise, und ich folgte ihr dann doch ins Wahllokal. Unseres ist im Schützenhaus des Nachbardorfes. Die Wahlhelfer begrüßten uns mit freudiger Erregung, wir hatten sie für einen Moment der Einsamkeit enthoben. Ich nahm meinen Wahlzettel entgegen und setzte mich hinter den Papppara-vent.
Und dort, abgeschieden von den Blicken anderer, überkam mich plötzlich wieder dieses Gefühl feierlicher Ernsthaftigkeit. Das Mürrische war für einen Momentweg, als ich mein Kreuz an der Stelle machte, wo es meistens steht. Wieder einmalhatte ich meine inneren Überzeugungenüberprüft und war zu dem beruhigendenSchluss gekommen, dass sie immer nochstimmen. So gesehen hatte auch dieseWahl ihr Gutes. se
Quellenangabe: HAZ Hannoversche Allgemeine Zeitung